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Bodenbilder von Rainer Siverding

Im Boden entstehen die unglaublichsten Formen. Dieses Wechselspiel von Schichten und Farben ins Bild zu setzen, hat sich Rainer Sieverding verschrieben.

Foto: R. Siverding

Riesige Gletscher bedecken Norddeutschland

In den letzten 600.000 Jahren bedecken Eismassen dreimal Nordeuropa. Von Skandinavien schieben sich riesige Gletscher über Norddeutschland. Auf seinem Weg nimmt das Eis ungeheure Mengen an Felsen, Sand, Kies, gefrorener Erde mit sich. In wärmeren Zeiten schmilzt das Eis ab. Liegen bleibt der glaziale, eiszeitliche Schutt. Bei sinkenden Temperaturen gibt es wieder neue Eisvorstöße. Als dann vor etwa 15.000 Jahren das Eis endgültig abschmilzt, bedeckt der glaziale Schutt Norddeutschland mit einer 50 - 300 Meter dicken Schicht, die die Grundlage für die Böden hier bilden. Beim Abschmelzen sortieren die riesigen Wassermassen das Material: große Brocken bleiben bald liegen, feine Sand- und Lehmteilchen werden weit mitgetragen; dies führt zu schichtweisen Ablagerungen. Nun ist es das Wechselspiel zwischen Sommer und Winter, Frieren und Tauen in den Dauerfrostböden, das für Bewegung sorgt: Oberflächennah taut der Boden an, Sümpfe entstehen. Bei Frost dehnt sich das Wasser wieder aus und drückt nach allen Seiten, die Schichten werden neu gemischt. Manchmal lässt der scharfe Frost die Erde aufreißen, Material fällt nach (siehe Bild links). Später verwittern die Böden; Humus bildet sich.

Wie das Interesse begann

Sickerwasser nimmt die zersetzten Bodenbestandteile mit sich, hier ist es vor allem das Eisen, das zusammen mit Sauerstoff oxidiert. Dort, wo das Sickerwasser eine Weile stehen bleibt, bilden sich rotbraune Streifen in den Profilen aus. Dieses Wechselspiel von Schichten und Farben ins Bild zu setzen, hat sich Rainer Sieverding verschrieben. Im Weser-Ems-Gebiet kennt Sieverding fast alle Sandgruben. Er fährt sie regelmäßig ab, um im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein. Haben die Bagger gerade interessante Strukturen freigelegt, beginnt Sieverdings Arbeit. Doch bis hierhin ist es ein langer Weg. Sein Interesse am Boden ist ihm nicht in die Wiege gelegt. «Wer hier in Norddeutschland groß wird, hat erst einmal keine Beziehung zum Boden, da die Vegetation alles bedeckt». Einige Zufälle bringen Sieverding für 5 Jahre als Lehrer an eine deutsche Schule nach Chile. Auf seinen Reisen durchs Land lernt er auch die Atacama-Wüste mit ihren wilden Steinformationen und verwitterten Böden in allen Farben und Formen kennen. Diese Reisen hinterlassen starke Eindrücke bei Sieverding.

Lackprofile entstehen

Jahre später, zurückgekehrt nach Norddeutschland, sieht er beim Besuch einer nahegelegenen Ziegelei dann erstmals präparierte Bodenprofile der heimatlichen Böden. Dies ist der Ausgangspunkt für Sieverdings Boden-Bilder. In über 20 Jahren hat er mehr als 300 Lackabzüge von Bodenprofilen zu faszinierenden Bildern verarbeitet. Entdeckt Sieverding bei seinen Rundfahrten ein Profil, legt er es mit Kelle und Spaten sauber frei. Wichtig ist es, eine plane Oberfläche zu erhalten. Der gewählte Bildausschnitt wird grob abgsteckt. Nun sprüht Sieverding einen schnell abtrocknenden Präparationslack in den Sand. Hier hat er durch seine langjährige Erfahrung eine spezielle Technik entwickelt. Über den verwendeten Speziallack verrät er nichts. In weiteren Arbeitsgängen wird der Lack dann mit dem Pinsel aufgetragen und eine "Verbandsgaze" zur Stabilisierung eingearbeitet. Je nach Witterung ist der Lack nach 2 bis 3 Stunden soweit getrocknet, dass das Bild von der Wand abgezogen werden kann.

Ein Künstler!

Aufgerollt und nach Hause gebracht findet nach einigen Tagen des Aushärtens die Nachbearbeitung statt. Die Sandplatte, die nach und nach ihre Feuchtigkeit und damit die ursprüngliche Intensität der Farben verliert, wird auf eine Holzplatte aufgezogen. Durch eine Behandlung der Vorderseite mit einer Lackmischung stellt sich die ursprüngliche Farbe wieder ein. Für jedes seiner Bilder, die Maße von bis zu 1,2 x 2,2 Metern erreichen, baut Sieverding die Rahmen in der eigenen Werkstatt. Mitlerweile wurden seine Bilder in mehr als 20 Ausstellungen gezeigt. Doch als Künstler bezeichnet sich Sieverding nicht: «Ich habe sie gesucht, den Blickwinkel bestimmt, den Ausschnitt festgelegt - aber ich habe diese Bilder nicht geschaffen»