Familienfreundliches Bauen
Zukunftsfähige Stadtplanung heißt die Bedürfnisse der Bewohner berücksichtigen.
Der Wunsch vieler Familien
Ein Häuschen mit Garten, am besten im Grünen und eine ruhige Lage wegen der Kinder - aber doch recht stadtnah, weil man auf die Annehmlichkeiten des urbanen Lebens nicht verzichten will.
Viele Städte stehen vor dem Problem leerer Innenstädte, leerer Kassen und dem Wunsch vieler Familien, mit Kindern im Grünen zu wohnen. Die Randgemeinden profitieren davon: Sie verzeichnen Einkommenszuwächse, ohne die Aufgaben der Städte übernehmen und finanzieren zu müssen.
Ideen muss man haben
Es gibt auch Alternativen zum Einfamilienhäuschen am Stadtrand und attraktive Ideen. Das Beispiel Vauban: Eine ehemalige Militärfläche mit dichter stadtnaher Wohnbebauung. Ökologisch ausgewogen und ideal für Familien - und sehr beliebt.
Wenn Familien in der Stadt bleiben wollen
Interview mit Carsten Sperling über die Planung des ökologischen Wohngebietes 'Vauban' in Freiburg.
Herr Sperling, Sie arbeiten seit 1995 beim Forum Vauban, einem Bürgerverein, der bei der Planung eines neuen, ökologischen Stadtviertels wesentlichen Einfluss genommen hat. Welche Ziele und Visionen wurden hierbei verfolgt?
Ein wichtiges Ziel war die Verbindung von ökologischen Aspekten mit der Planung eines lebendigen, kinderfreundlichen Stadtteils, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner ihr Umfeld mitgestalten können.
Mit dem Angebot, attraktive Wohnbauflächen in Innenstadtnähe anzubieten, war auch die Idee verbunden, junge Familien in Freiburg zu halten und die Abwanderung ins Umland zu bremsen. Hierzu musste u.a. die nötige Infrastruktur bereitgestellt werden. Dazu gehören zum Beispiel Kindergärten, eine Grundschule und der Stadtbahnanschluss. Spätestens nächstes Jahr soll mit dem Umbau des alten Offizierskasinos zu einem BürgerInnenhaus und Stadtteilzentrum begonnen werden.
Weitere Ziele von Stadt und Forum sind die Mischung von Wohnen und Arbeiten, die bauliche und soziale Vielfalt, der Erhalt von Naturräumen und eine deutliche Verminderung des CO2-Ausstoßes durch Maßnahmen in den Feldern Energie und Mobilität".
Das heißt, es sollte ein Stadtteil geplant werden, der ein urbanes Leben ermöglicht und gleichzeit ökologischen Ansprüchen gerecht wird. Konnten diese Ziele erreicht werden?
Was das urbane Leben betrifft, so wird sich in Vauban nicht der Grad an Urbanität wie in innerstädtischen Quartieren einstellen. Vauban ist eher mit dem Typus der sog. Gartenstadt vergleichbar. Dennoch sollen sich, bevorzugt an der Haupterschließungsachse, Gewerbetreibende ansiedeln. Bauträgern und Baugemeinschaften wurde hier die Auflage gemacht, im Erdgeschoss Gewerberäume zu erstellen. Die Ausweisung eines Misch- und eines Gewerbegebietes im nördlichen Bereich von Vauban soll ebenfalls Wohnen und Arbeiten im nachbarschaftlichen Gefüge fördern.
Entscheidend ist außerdem, an wen und mit welchen Auflagen die Grundstücke vergeben werden. In Vauban werden nicht in erster Linie kommerzielle Bauträger bedient. Bei der Vermarktung werden bis zu einem gewissen Grad Gemeinschaftsbauprojekte und Einzelbauleute bevorzugt. Dadurch kommen Menschen ins Quartier, die viel Eigeninitiative mitbringen. Noch ist es zu früh für quantitative Aussagen. Ich beobachte jedoch, dass viele BewohnerInnen bereits kleine Geschäfte eröffnet haben, Dienstleistungen anbieten oder sozial aktiv sind.
Wie ist die Idee zur Gründung eines Bürgerforums entstandten?
Der Anstoß kam aus zwei Richtungen: Es fanden sich 1994 zum einen engagierte Bürgerinnen und Bürger zusammen, die teilweise auch schon in anderen Freiburger Gruppen aktiv waren - in den Bereichen Ökologie, Verkehr, Wohnen und Soziales. Sie gründeten das Forum Vauban als Vertretung der bereits dort lebenden und der zukünftigen BewohnerInnen. Außerdem rief die Stadt Freiburg 1995, parallel zur Erarbeitung des städtebaulichen Entwurfs, eine erweiterte Bürgerbeteiligung ins Leben. Die Organisation dieses Prozesses sollte von einem freien Träger wahrgenommen werden. Das Forum Vauban bewarb sich dafür und wurde noch im gleichen Jahr als Trägerverein des Beteiligungsprozesses anerkannt.
In dem neuen Stadtteil Vauban, der insgesamt knapp 42 ha umfasst, wohnen rund 5.000 Menschen. Bei einer Wohnbaufläche von 25 ha entspricht dies einer durchschnittlichen Geschossflächenzahl von 1,3. Aus Sicht eines flächensparenden Bodenmanagements ein Vorbild für andere Städte.
Wie wurde dabei erreicht, dass gerade junge Familien die Hauptzielgruppe darstellen ?
Junge Familien drängen geradezu ins Quartier Vauban! Das ist meiner Ansicht nach das eigentlich Revolutionäre, denn der Wunsch nach dem "Häuschen im Grünen" schien bei der Standard-Jungfamilie doch fast übermächtig zu sein. Wie kommen die nur auf die Idee, in der Stadt zu bauen - und das bei sehr teuren Grundstückspreisen.
Aus meiner Sicht haben nur attraktive Alternativen gefehlt, die Möglichkeit, auch auf teureren städtischen Grundstücken kostengünstig und selbstbestimmt zu bauen. Ich denke, dass das "Häuschen im Grünen" nur eine Lösungsvariante darstellt für den Wunsch, das eigene Wohn- und Lebensumfeld zu gestalten und sich darin einzurichten. Eine weitere Möglichkeit - und es gibt sicher noch mehr - ist das Bauen in einer Baugruppe, wie in Vauban praktiziert. Städtisches Leben mit all seinen Vorteilen und der Einfluss auf die Gestaltung der eigenen vier Wände von Beginn an schließen sich nicht aus!
Es gibt auch das Konzept autofrei Wohnen - wie geht das?
Wichtig für die Beliebtheit ist sicher auch das spezielle Freiraumkonzept im Stadtteil selbst. Dazu zähle ich sowohl die Grünanlagen im Quartier als auch die verkehrsberuhigten und stellplatzfreien Wohnstraßen. In Vauban weichen die Autos den Kindern aus und nicht umgekehrt. Schließlich wird hier auch die Variante "Wohnen ohne eigenes Auto" angeboten, die autofreien Haushalten - bislang sind dies um die 300 - den Kauf eines Stellplatzes in einer der Sammelgaragen erspart. So ziehen viele Familien, die in Freiburg autofrei wohnen möchten, ins Quartier Vauban.
Bei der Bebauung des Stadtteils wurden verschiedene Maßnahmen zum Bodenschutz getroffen, wie die Regenwasserversickerung oder der Erhalt von Naturflächen. Wie sieht das Gesamtkonzept zum Bodenschutz im Stadtviertel aus?
Vauban ist sehr dicht bebaut - schon fast zu dicht, meinen viele. Der Bodenschutz im Gelände begrenzt sich deshalb weitgehend auf die Regenwasserversickerung in weiten Teilen des Wohngebietes sowie auf den Erhalt schützenswerter Naturflächen inklusive des alten Baumbestandes. Fünf Grünspangen durchziehen dabei das Quartier und schaffen entsiegelte Flächen und Frischluftschneisen.
Besonders erwähnenswert ist die Regenwasserversickerung, die über ein Mulden-Rigolen-System durchgeführt wird. Zwei Gräben sammeln das Regenwasser, das über offene Rinnen zufließt. An geeigneten Stellen haben die Gräben Kontakt zu den grundwasserführenden Schichten. Die kaum wasserdurchlässigen Bodenschichten wurden durchstoßen und Kiespackungen eingebaut mit einer belebten Bodenschicht darüber, damit das Wasser gereinigt in den Untergrund gelangt. Normalerweise bleiben die so gesammelten Niederschläge durch Verdunstung und Versickerung vollständig im Gebiet. In Ausnahmefällen gelangt Regenwasser auch in den nahe gelegenen Dorfbach. Das Mulden-Rigolen-System bewirkt aber auch in diesem Fall eine starke zeitliche Verzögerung.
Ursprünglich war das Vauban-Areal eine französische Kaserne. Die Umwandlung von Brachflächen in Wohngebiete wird von vielen Städten angestrebt. Allerdings werden Altlasten und Rückstände aus der Militärzeit oft als Hindernisse betrachtet.
Im ersten Bauabschnitt wurde eine historische Untersuchung mit Hilfe alter Karten und Luftbilder durchgeführt sowie ein Beprobungsnetz über die Fläche gelegt. Hierdurch wurden aber nicht alle Kontaminationen gefunden und rechtzeitig saniert. Dies führte zu Verzögerungen bei Vermarktung und Baubeginn.
Deshalb hat die Stadt sich im zweiten Bauabschnitt für einen großflächigen Bodenaustausch entschieden. Im Haushalt der Entwicklungsmaßnahme sind bis zum Jahr 2006 rund 3 Millionen Euro für die Altlastensanierung vorgesehen.
Sie haben 1996 aufgrund des kooperativen Planungsprozesses die Auszeichnung als "German Best Practice" erhalten. Sehen Sie die Gestaltung des Stadtteils als außergewöhnlich an oder als Beispiel, das auch in anderen Städten umgesetzt werden kann?
Teils-teils. Sicher sind wir in Vauban von guten Voraussetzungen ausgegangen: eine weitgehend kooperative Stadtverwaltung, ein weit gefächertes Know-how in der Region zum ökologischen Bauen, Erfahrungen mit gemeinschaftlichen Bauprojekten, ein breiter Interessentenkreis für diese Form des Wohnens, eine Brachfläche in attraktiver Lage und - bei aller Bescheidenheit - eine selbstbewusste Interessenvertretung in Form des Forum Vauban sind hier zu nennen. Ich denke, dass die "institutionalisierten Querdenker" beim Forum besonders wichtig waren für die Umsetzung modellhafter Vorhaben. Doch welche Stadtverwaltung finanziert schon gerne Organisationen, die auch mal Sand in ihr städteplanerisches Getriebe streuen? Ist es nicht einfacher, Standardlösungen auf die grüne Wiese zu stellen? Die Summe solcher "Lösungen" ergibt dann aber den bekannten Siedlungsbrei mit seinen Verkehrsinfarkten.
Und für die Zukunft?
Ich glaube, dass wir hier einen Umdenkungsprozess brauchen, der mit Vauban und ähnlichen Projekten bereits begonnen hat. Die Charta von Athen mit ihrer Forderung nach räumlicher Trennung von Wohnen, Arbeiten und Erholung ist längst überholt! Wir konnten zeigen, dass Wohnträume auch in einem urbanen Gefüge verwirklichbar sind. Natürlich gibt es da nicht so viel Platz wie auf dem Land. Dafür entfällt aber auch das weite Pendeln zum Arbeiten und Einkaufen. Die Kinder können zur Schule laufen und abends sind Kneipe oder Theater nicht weit. Baugemeinschaften machen das Bauen in der Stadt außerdem finanziell erschwinglich.
Offensiv mit den Vorteilen städtischen Lebens zu werben und eine kleinteilige "Entwicklung der Quartiere von unten" zu fördern, das sehe ich als eine der wichtigsten Aufgaben in der Städtebaupolitik. Die Brachflächen, auf denen Neues auch in größerem Maßstab gewagt werden kann, sind vorhanden. Es braucht hierfür jedoch den Mut, mit alten Gewohnheiten zu brechen.
Welche konkreten Voraussetzungen müssen aus Ihrer Sicht für eine Nachahmung erfüllt sein?
Wie in vielen anderen Bereichen braucht es eine gezielte Förderpolitik. In Vauban mussten wir zum Beispiel für das Verkehrskonzept ganz neue juristische Lösungen erarbeiten. Das wäre mit den vorhandenen personellen und finanziellen Mitteln nicht machbar gewesen. Auch die erweiterte Bürgerbeteiligung und die Begleitung der Baugruppenprozesse - in Vauban gibt es mittlerweile knapp 40 Gruppenbauvorhaben - erfordern zusätzliche Kapazitäten.
In unserem Fall wurden modellhafte Konzepte und Projekte durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) und das EU-Umweltprogramm LIFE gefördert. Ich habe keinen Gesamtüberblick über die aktuellen Fördermöglichkeiten. Im Rahmen eines Programms zum flächensparenden Bauen wären zusätzliche Gelder für eine erweiterte Bürgerbeteiligung und ein kooperatives Planungs- und Baumanagement aber sicher gut angelegt.